Im Jahr 1910, kurz vor Weihnachten, hielt der weit über Wien hinaus bekannte Aquarien- und Naturliebhaber Carl August Reitmayer einen ebenso leidenschaftlichen, wie besinnlichen Vortrag über die Schönheit der Prater-Auen und der Lobau.
Die Faszination für diese beiden Landschaften, die zu Wien gehören wie der Stephansdom, ist bis in unsere Tage ungebrochen. Schon vor mehr als hundert Jahren setzten sich Menschen für deren Erhaltung ein und priesen ihren Zauber.
Das mussten sie tun und das müssen sie leider auch heute noch tun, weil die politischen und wirtschaftlichen Begehrlichkeiten zur Ausnutzung, zur Verbauung und damit zur Zerstörung dieser Landschaften seit jeher ohne Zahl sind.
Anlass für Carl August Reitmayers Auen-Vortrag war die Weihnachtsfeier des berühmten, bis heute existierenden Aquarienvereins „Lotus“ am 20. Dezember 1910. Schauplatz war das Restaurant Gruß in der Währingerstraße 67 (vis-à-vis der Volksoper).
Der Abend wurde vom Vereinskassier Franz Schwarz schwärmerisch protokolliert. Sein Bericht wurde kurz darauf in der im gesamten deutschsprachigen Raum gelesenen Zeitschrift „Blätter für Aquarien- und Terrarienkunde“ veröffentlicht. Ein Sprung ins Jahr 1910:
„Unser Vereinsabend, der letzte im alten Jahre, stand im Zeichen des Weihnachtsbaumes. Der Vortragende führte uns in formvollendeter Rede die Schönheiten der Au vor; zeigte uns ihre Pracht in jeder Jahreszeit. Mit stiller Wehmut berichtete er, wie wenige von uns all’ die Herrlichkeiten kennen, die unsere heimischen Auen, die Praterau und die Lobau, bergen: „Wir schauen, aber wir sehen nicht!“
Die Schönheit der Landschaft erfüllt das Auge des Wanderers mit heller Freude: die Baumriesen, die von alten, längst entschwundenen Zeiten eine beredte Sprache sprechen, die vielen Wasserläufe und Tümpel mit ihren romantischen Plätzchen, ein Land der Märchen und Träume uns vorzaubernd.
So schauten wir im Geiste die Wunder der Au, aber wir sahen sie auch, denn in einer überreichen Fülle von Lichtbildern führte sie uns Herr Reitmayer vor Augen: das Hechtenwasser, das Heustadtlwasser, den Eisteich im Prater und die Lobau mit ihren uralten Baumbeständen und malerischen, traumverlorenen Wasserläufen.
Der Redner schloss mit dem Wunsche, dass es ihm geglückt sein möge, auch nur einen einzigen neuen Freund für die Schönheit unserer heimischen Auen gewonnen zu haben, dann sei seine Mühe reichlich belohnt. Inzwischen erstrahlte der Christbaum in hellem Lichterglanze.“